Review / The Party
Weserhalle, Berlin
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Schuhe-aus-Politik und entschleunigter Meme-Konsum
von Annika Goretzki
Du stehst vor der Tür und dort drinnen findet sie statt, The Party. Von außen durch die große Schaufensterfront gut einsehbar, fächert sich auf großen LCD-Anzeigetafeln ein quasi-materialisiertes Meme im Galerieraum auf. Links und rechts tanzende Menschen, hinten Wojak, dessen wechselnde Gedankenbänder links oben eingeblendet werden. Beklemmt in der Ecke stehend wiederholt er das vermutete Nicht-Wissen der anderen Partygäste: »dass Malerei tot ist«, »wie kurzfristig diese Show entstanden ist« oder, dass Duchamps Fountain »das erste Meme überhaupt war«. Wojak, die im Halbprofil dargestellte kahle Figur mit bekümmertem Gesichtsausdruck, ist Meme-Begeisterten auch als That Feels Guy bekannt. Er wünscht sich in der ikonischen Partyszene, die Ende 2020 viral ging, entweder nachhause (Videospiele zocken) oder kompenisert sein Unwohlsein, wie in der Weserhalle, mit der Selbstbestätigung eigener Qualitäten, die ihn von den anderen Anwesenden abheben – um so die soziale Situation, in der er sich befindet, erträglich zu machen.
Image by Weserhalle
Der ausstellende Künstler ist Cem A., der als Autor von @freeze_magazine die internationale Kunstwelt bzw. gut 85k Follower, Tendenz steigend, auf Instagram mit selbstreferenziellen Art Memes bereichert. Art Memes bilden mit einer nie dagewesenen Deutlichkeit und Sichtbarkeit Phänomene des Kunstfeldes ab. So finden Themen wie Arbeitsbedingungen und Selbstausbeutung, dominante Akteur:innen und unbewegliche Rollenzuteilung ebenso Zugang wie kunsthistorische Kontroversen à la Paragone und tagesaktuelle Debatten. Auf eine Art ist dies Institutionskritik par excellence, nur dass sich durch Social Media die Informationsströme stark verändert haben, die Kritik also drinnen und draußen gleichzeitig stattfindet und – das ist ein wichtiger Punkt – eine Diskussion und Wortmeldungen relativ transparent zulässt. Das nur noch selten gesehene analoge Gästebuch oder ein Feuilleton-Battle, das mitunter antiquiert wirken mag, bekommen im Digitalen eine neue, rohe Unmittelbarkeit. Autor:innen und Publikum diskutieren Themen direkt am Ort des Geschehens aus, kritisieren und loben, weinen und lachen mit. Das Funktionieren von Art Memes zeichnet Strukturen des Kunstfeldes ab, die an eine aktualisierte Version der Regeln der Kunst von Pierre Bourdieu denken lassen, an Habitus und Formen der Kapitalverschiebung. Die eigene prekäre Lebenssituation als Künstler:in und das Sichtbarkeitssyndrom der Kunstwelt wird auf die Schippe genommen, worin sich wiederum die Schaffenden selbst am meisten wiederfinden – das zumindest lassen die Kommentare vermuten. Wer in der Lage ist, die Codes zu lesen, hat schon die erste Hürde genommen, von einem scheinbaren Aussichtspunkt, der immer mehr selbst zum Motiv wird.
Images by Weserhalle, gif by Petrus Entertainment
Fürs Betreten der Party gilt: Schuhe ausziehen. Neben der vermutlich wenig intendierten Referenz an WG-Parties mit selbiger durchaus fragwürdiger Politik, sorgt die Handhabe dafür, dass mögliche physische Gäste keinerlei Spuren hinterlassen. Das aus dem Virtuellen übertragene Meme bleibt auf gewisse Weise unantastbar, die Situation löst sich nicht auf, soll sie auch nicht. Ohnehin ist die Ausstellung 24/7 an, zeigt sich also überwiegend ohne sporadisch reintröpfelnde Besucher:innen. Die Materialisierung des Memes bedeutet also vor allem eine neue Art der Sichtbarkeit. Und das nicht nur, weil wir nun fast ins Innere eines Telefons schauen, auf grob gerasterte Bildschirmfragmente, hinter denen Kabel und Anschlüsse offen liegen. Was an dieser Ausstellung nun so wahnsinnig gut ist? Sie funktioniert selbst wie ein Meme. Verweilende können selbst entscheiden, wie viele Variationen des Memes sie sich einverleiben möchten. Im Vorbeigehen nur die Nachricht mitnehmen, die ihnen bereits entgegenleuchtet, oder stehen bleiben, geduldig warten, bis die nächste Pointe im ansonsten weitgehend unveränderten Tableau erscheint. In jedem Fall ist dies eine entschleunigte Art der Meme-Konsumption. So dauert der Übergang von einem Text zum nächsten wesentlich länger, als die durchschnittliche Wisch-Frequenz auf dem Smartphone. Betrachter:innen sind unweigerlich dazu angehalten, die eigene Rolle in diesem Szenario zu hinterfragen – Sympathie für Wojak oder für die anonym tanzende Menge, ein nostalgisches Erinnern an Geselligkeit in Privaträumen, die es pandemiebedingt so lange Zeit nicht gab.
Screenshot Instagram @freeze__magazine
Am Ende der Ausstellungslaufzeit kommen sogar die sonst stummen Tanzenden noch zu Wort: »I'm glad the exhibition is finally over« verlautet eins der Paare auf @freeze_magazine, während von der anderen Seite ein Strich unter die angestoßene Debatte gezogen wird, denn Art Memes seien »verdammtnochmal doch keine Kunst, ernsthaft jetzt«. Doch so einfach ist es nicht, Art Memes werden uns noch lange begleiten. Und immer mal wieder bitte sehr gerne in durchdacht materialisierter Form, denn oh ja, das funktioniert.


Die Ausstellung The Party war vom 6.-29. August 2021 in der Weserhalle, Berlin ⟨Weserstraße 56, 12045 Berlin⟩ zu sehen. https://weserhalle.com/